Die Grenzen der Menschlichkeit

Ein paar Minuten vor Mitternacht klingelt das Telefon. Kein schöner Ton, wenn man geliebte Menschen im Krankenhaus weiß.  Bis ich das Gerät erreicht habe ist die Leitung wieder tot. Während ich meine Brille suche um die Rückruffunktion zu finden, klingelt mein Handy. Das finde ich grade noch rechtzeitig und melde mich abgehetzt. Es ist die Notfall Ambulanz eines der hiesigen Krankenhäuser. Ob ich derjenige sei der als Notfallnummer notiert sei, fragt die strenge Stimme einer Verwaltungs-Krankenschwester. Nach Luft ringend stammele ich ja… ein Todesfall schießt es mir durch den Kopf. Doch die Stimme am Telefon ist nicht gewillt Fragen zu beantworten, denn Sie hat selber welche. Wer darf im Notfall entscheiden, gibt es eine Patentenverfügung, kann ich diese sofort herbringen, etc., etc. Ich werde langsam unwirsch und verlange, in noch höflichen Ton, über die Art des Notfalls unterrichtet zu werden. Die Antwort ist medizinisch und fachlich erschöpfend, sie lautet lapidar: Dem Patienten geht es schlecht. Ok denke ich, eine nicht besser werdende Herzerkrankung mit Nieren Insuffizienz und daraus resultierend Wasser in der Lunge ist wirklich nicht schön, aber dieser Zustand ist bereits ein ganze Weile so. Jedem in der Familie ist klar, dass dieses Krankheitsbild ob kurz oder lang zum Tode führen wird, aber mir erschloss sich immer noch kein Notfall, der mich Nachts fast 30 Km weit über gefrorene Landstraßen zum Krankenhaus gerufen hätte. Die Kinder schliefen und ich musste Sie morgens zu ihren Lerneinrichtungen fahren und so etwas wie Arbeit wartete leider auch auf mich. Ich versuchte es daher noch einmal den Notfall zu hinterfragen. Aber da kam nichts außer einer Wiederholung der bereits getroffenen Aussage. Jetzt reichte es mir langsam und ich hinterfragte offensiv was der Grund für die nächtliche Eile sei. Die Frau wurde noch ausweichender, es könnte eine Embolie sein, oder ein erneuter Herzinfarkt, ob ich denn eine Behandlung wünschte. Langsam ging mir ein Licht auf und ich teilte der Dame ausgesprochen deutlich mit, dass ein Krankenhaus wohl für die Behandlung kranker Menschen zuständig sei und sie gefälligst ihren Job erledigen sollten.

Am nächsten Mittag, die Kinder waren in der Schule, die Kollegen informiert und laufende Arbeiten übergeben, machte ich mit den geforderten Papieren auf den Weg in das Krankenhaus. Dort angekommen bekam ich erst einmal einen Platz auf der Strafbank. Wer nicht kommt wenn die es wollen, der wartet bis sie es wollen. Doch so einfach ist mir nicht beizukommen, da die Krankengeschichte schon länger andauert, habe ich Übung und Sitzfleisch entwickelt im Umgang mit Krankenhaus Ärzten. Irgendwann wurde ich dann doch gnädig vorgelassen. Der übliche Schnösel in weiß empfing mich und begann unverzüglich mich zu verhören. Was ich für ein Verhältnis zu dem Patienten hätte, warum ich es gewagt hatte Behandlung zu fordern, was für ein Leben der Patient führte, zu welchen Aktivitäten er denn noch fähig wäre. Meine dunkele Ahnung wurde langsam zu Gewissheit. Der Automechaniker erklärt seinem technisch ahnungslosen Kunden grade, das sich eine Reparatur nicht mehr lohnt und das verschrotten die günstigere Alternative wäre.

Als nächstes begann der „Arzt“ die Aussichten des Patienten in schwärzesten Farben zu malen, bis ich ihm rüde das Wort abschnitt. Denn das war das dritte Mal, dass ein Arzt mir erklärte, das keine Hoffnung bestehen würde und in den nächsten zwei bis drei Tagen alles zu Ende gehen würde. Dumm nur, das die erste Diagnose dieser Art bereits fast drei Jahre zurück liegt und der Patient zwanzig Jahre vorher bei einer Krebserkrankung schon einmal genau das Gleiche zu hören bekam. Genau das war meine Antwort und ich fragte den „Mechaniker“ warum er dieses Gespräch eigentlich mit mir führte und nicht mit dem Patienten. Der sei ja gestern bei der Einlieferung nicht ansprechbar gewesen, weshalb sie erst einmal Behandeln hätten müssen, war die an Unmenschlichkeit nicht zu überbietende Antwort. Der Mann hatte Glück, das ich im Alter ruhiger geworden bin, zwanzig Jahre vorher wäge ich ihm an den Kargen gegangen für seine „nette menschliche Art.“

Unser Gesundheitswesen, aber ganz besonders die Krankenhäuser sind ein verrohter, zynischer Mikrokosmos. Ein schonungsloses Abbild unserer Gesellschaft, das uns vor Augen führt wie unmenschlich diese mittlerweile ist.

Die Behandlung eines alten und kranken Menschen ist einer Kosten- Nutzen Abwägung gewichen, bei der der Wille des Patienten keinerlei Rolle mehr spielt. Eine offene verständliche Diagnose und ein vertrauliches Arzt Patienten Gespräch ist im Krankenhaus ja noch nie zu erwarten gewesen, aber mich aus dem Bett zu klingeln und dann zu versuchen, dass ich binnen zwei Minuten ein Urteil über Leben und Tod Fälle und das über einen Menschen, der noch überwiegend bei klarem Verstand ist, ist einfach ohne Worte. Verstehen Sie mich nicht falsch liebe Leser, ich würde gerne selbstbestimmt sterben dürfen wenn ich denken sollte, dass ich nicht  noch mehr Maschinen- Medizin brauche. Aber diese Entscheidung möchte ich GANZ ALLEINE treffen dürfen. Was ist das für eine Welt, in der sich pflegende Angehörige, ihrer zur Last gewordenen Verwandten mit einem Satz um Mitternacht am Telefon entledigen können. Werden wir bald solche Sätze hören wie: „Och der ist sowieso jetzt unproduktiv, der kann weg.“ Ist es das worauf wir hinsteuern? Die die früher ihre Arbeit losgeworden sind und damit Arbeitslosengeld beziehen durften, die erhalten jetzt ein Almosen namens Harz 4, statt Unterstützung. Werden als nächstes die Kosten im Gesundheitssystem gedeckelt in dem eine Art Gesundheits- TÜV eingeführt wird? Lohnt nicht mehr, kann weg? Mir schaudert es bereits bei dem Gedanken. Aber wer jetzt glaubt, das könnte nicht geschehen, der hat im Geschichtsunterricht nicht aufgepasst. Vor gar nicht langer Zeit haben die Nazis „Unwertes Leben“ definiert und unheilbar Kranke und Behinderte reihenweise umgebracht. Das erschien den Menschen dieser Zeit logisch, denn sie glaubten an die sogenannte „Rassenlehre“ und an solche fürchterlichen Phrasen wie „die Reinerhaltung des Erbguts“ und das nicht nur in Deutschland. Amerika hätte ähnliche Gesetzte zu dieser Zeit, es wurde nach Herzenslust zwangssterilisiert, weggesperrt und getötet im Namen der „Volksgesundheit“. Heute ist es in unserer Gesellschaft normal das nur der zählt der produktiv ist. Wir sind alle vom Arbeiter und Angestellten zu „human ressources“, mutiert Ressourcen die nun einmal irgendwann erschöpft sind. Dann scheint es gefährlich zu werden, wie ich grade erfahren habe.

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